Ein Artikel von Dr. Hauke Thaden - Head of Product von loadP.
Die Stabilität des Stromnetzes hängt im Wesentlichen davon ab, dass Erzeugung und Verbrauch elektrischer Energie im Einklang sind. Die gezielte Steuerung von Stromerzeugung und Energiehandel wird in sogenannten Bilanzkreisen geregelt. Innerhalb dieser Bilanzkreise müssen kurz- und längerfristige Prognosen über den zukünftigen Energiebedarf erstellt werden, um die Erzeugung auf den Bedarf abstimmen zu können. Rückwirkend wird dann die Abweichung zwischen Prognose und tatsächlichem Verbrauch virtuell nachgehandelt. Die Verantwortlichen für die Bilanzkreise müssen dazu sogenannte Ausgleichsenergie zu stark schwankenden Preisen ein- oder wieder verkaufen. Die Kosten für die Ausgleichsenergie sind also erheblich von der Qualität der erstellten Prognosen abhängig.
Die Auswirkungen von Corona sind auch in der Energiebranche deutlich spürbar. Während sich der Energiebedarf der Haushalte durch Ausgangseinschränkungen im privaten Leben deutlich erhöht, sinkt der Stromverbrauch bedingt durch (hoffentlich nur vorübergehende) Geschäftsschließungen und veränderte Auftragslagen im Gewerbe- und Industriesektor erheblich.
Das sorgt nicht nur für sinkende Umsätze bei den Energieversorgern, sondern stellt auch das Bilanzkreismanagement vor riesige Herausforderungen: Nach wie vor müssen täglich die Prognosen für den Stromverbrauch des Folgetages erstellt werden. Typischerweise verwendete Prognoseverfahren leiten aus der langfristigen Historie von Stromkunden das zukünftige Verhalten ab.[1] Allerdings ist auch für diese Prognosemodelle die Situation mit Corona komplett neu und die Historie hat weniger Aussagekraft für die Zukunft. Die Folge ist, dass die Prognosequalität sinkt und die Bilanzkreismanager einem stark vergrößerten Risiko durch hohe Ausgleichsenergiekosten ausgesetzt sind.
Der Einsatz von schnell und selbstständig lernender künstlicher Intelligenz (KI) kann helfen, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Richtig eingesetzt erkennt die KI, dass sich das Verbrauchsverhalten der Stromkunden strukturell verändert. Das untenstehende Beispiel verdeutlicht diesen Effekt.
Die Abbildung zeigt den tatsächlichen Energiebedarf aus einem Portfolio mehrerer Industrie- und Gewerbekunden (schwarze Linie) seit Anfang März. Jede Spitze entspricht einem Werktag. Dazwischen sieht man den typischen niedrigen Verbrauch von Industrie und Gewerbe an Wochenenden. Ab Mitte März sinkt der Verbrauch systematisch ab – eine Folge der Corona-bedingten Einschränkungen.
Klassische Prognoseverfahren (rote Linie) liefern in der ersten Hälfte des Monats sehr stabile Prognosen, können aber nicht schnell genug auf den Strukturbruch ab Mitte März reagieren. Als Folge liegen Prognose und tatsächlicher Verbrauch sehr weit auseinander. Durch künstliche Intelligenz, wie sie bei den Prognosen von loadP[1] (blaue Linie) im Einsatz ist, passen sich die Vorhersagen innerhalb von wenigen Tagen dem veränderten Verbrauchsverhalten an. Dadurch kann sich die Qualität im Vergleich zu klassischen Prognoseverfahren erheblich verbessern: der Prognosefehler wird um mehr als 60% reduziert. Dadurch sind deutlich geringere Kosten durch Ausgleichsenergie zu erwarten.
Für das Bilanzkreismanagement kommt es in Zeiten wie diesen also darauf an, den richtigen Mix aus Prognoseverfahren zur Verfügung zu haben: stabile Modelle für gleichmäßigen Energiebedarf und Unterstützung von selbstlernender KI in Phasen unerwarteter Veränderungen. Künstliche Intelligenz liefert dadurch einen weiteren Baustein für die Optimierung und Stabilisierung des Energiesystems.
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[1] Zum Beispiel nutzt das sogenannte Vergleichstagsverfahren den Mittelwert ähnlicher Tage aus der Vergangenheit als Prognose. Die Vorhersage für den nächsten Sonntag wird damit über Mittelwerte der Sonntage der letzten paar Wochen erstellt.